Ein seltsames Verständnis der Grundrechte
KONTEXT:Wochenzeitung berichtet über die Demo in Reutlingen – und zeigt, wie wenig Versammlungsfreiheit verstanden wird.
In seinem Artikel berichtet Korbinian Strohhuber in der KONTEXT:Wochenzeitung über die Demonstration „Gemeinsam für Deutschland“ am 26.04.2025 in Reutlingen und nimmt dabei Bezug auf eine Videobotschaft von mir. Ich wurde von den Organisatoren im Vorfeld um Einschätzungen gebeten, da ich selbst in der Vergangenheit große Demonstrationen organisiert habe. In die konkrete Planung oder Durchführung der Veranstaltung in Reutlingen war ich jedoch zu keinem Zeitpunkt eingebunden. Als unabhängiger Beobachter möchte ich deshalb einige Einordnungen und Korrekturen vornehmen – insbesondere im Hinblick auf, Organisation, Versammlungsrecht, Pressefreiheit und den Umgang mit Medien.

1. Organisation und Abgrenzung: Wer ist verantwortlich – und wer nicht?
Die Demonstration „Gemeinsam für Deutschland“ am 26. April 2025 wurde von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis organisiert – unabhängig von Parteien, Ideologien oder Weltanschauungen. Das gemeinsames Ziel: Frieden, Freiheit und Grundrechte. Die Organisatoren in Reutlingen haben sich im Vorfeld klar und öffentlich davon distanziert, dass extremistische Gruppen – gleich welcher Richtung – die Demonstrationen für eigene Zwecke missbrauchen.
Dass auf öffentlichen Demonstrationen auch Einzelpersonen erscheinen, die äußerlich oder politisch nicht ins gewünschte Bild passen, lässt sich bei Großveranstaltungen kaum vollständig ausschließen. Entscheidend ist, wie damit umgegangen wird. In meiner Videobotschaft habe ich geschildert, wie wir es bei früheren QUERDENKEN-Demonstrationen gehandhabt haben: durch ein klares Ordnerkonzept, Funkverbindungen, direkte Kommunikation mit der Polizei – und einen konsequenten, aber rechtsstaatlich sauberen Umgang mit Störern.
Dass die Veranstalter in Reutlingen sich daran orientiert haben, ist zu begrüßen. Das bedeutet nicht, dass jede Person ausgeschlossen werden kann oder darf, die durch Kleidung, Symbolik oder Haltung auffällt. Maßgeblich ist das Verhalten. Das Versammlungsrecht schützt die Versammlung als solche – nicht die Deutungshoheit über deren Teilnehmer.
2. Versammlungsrecht ist kein Meinungskonzept, sondern Grundrecht
In Ihrem Artikel wird nahegelegt, dass die Demonstration unter Beobachtung stehen müsse, weil dort auch Menschen auftauchen könnten, die eine andere politische Haltung vertreten als Sie selbst für vertretbar halten. Damit stellen Sie nicht nur diese Versammlung in Frage, sondern das Grundverständnis des Versammlungsrechts selbst.
Das Versammlungsrecht ist ein konstituierendes Element jeder echten Demokratie. Es ist polizeifest, das heißt: Die Polizei darf nur eingreifen, wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht – nicht, weil jemand eine unpopuläre Meinung äußert oder eine andere politische Symbolik verwendet. Und das ist auch gut so.
Es schützt nicht die „richtige Meinung“, sondern die Versammlung als solche – unabhängig davon, ob sie der Regierung, den Medien oder der Mehrheit gefällt. Gerade deshalb ist es eines der sensibelsten und am stärksten geschützten Grundrechte.
Das Versammlungsrecht schützt ausdrücklich auch solche Meinungen, die vom Mainstream abweichen. Die Definition eines Störers ist im Versammlungsrecht klar geregelt: Es handelt sich um Personen, die gewalttätig auftreten, andere belästigen oder die Versammlung konkret gefährden. Eine unliebsame Meinung, eine kontroverse Fahne oder das Tragen bestimmter Kleidung ist kein Grund für einen Ausschluss.
Ich habe in meiner Videobotschaft ausdrücklich gesagt, dass Gruppen, die sich gezielt konfrontativ oder aggressiv verhalten, ausgeschlossen werden sollten. Gleichzeitig haben ich an die Versammlungsleitung und Teilnehmer appelliert, bei Einzelpersonen Augenmaß walten zu lassen. Das ist kein Widerspruch – sondern verantwortungsvolle Differenzierung.
Ich frage daher: Welche Vorstellung von Versammlungsrecht vertreten Sie, Herr Strohhuber? Gilt dieses Recht nur für diejenigen, deren Meinung mit der Ihren übereinstimmt? Oder sind Sie bereit, auch jenen die Straße zuzugestehen, mit denen Sie nicht übereinstimmen – solange sie friedlich demonstrieren?
Wer echte Demokratie fordert, muss sich für das Versammlungsrecht aller Bürger einsetzen – nicht gegen die, die man lieber nicht sehen oder hören möchte. Denn die Freiheit, seine Meinung zu äußern und öffentlich dafür einzustehen, ist nur dann etwas wert, wenn sie auch denjenigen garantiert wird, deren Meinung man nicht teilt.
3. Zur Pressefreiheit – Rechte und Verantwortung
Uns (QUERDENKEN-711) ist bewusst, dass eine freie Presse zu einer lebendigen Demokratie gehört. Deshalb haben wir mit zahlreichen unabhängigen Journalisten vor, während und nach der Veranstaltung gesprochen. Wir möchten aber auch festhalten: Pressefreiheit ist ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat – nicht gegenüber den Bürgern.
Das heißt: Der Staat darf keine Zensur ausüben, keine Inhalte vorschreiben oder Berichterstattung verhindern. Aber Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, Medien kritisch zu hinterfragen, ihre eigene Meinung über Berichterstattung zu äußern und eigene Medieninhalte zu schaffen. Das ist kein Angriff auf die Pressefreiheit – das ist der Wesenskern der Pressefreiheit.
Wir haben in den letzten 5 Jahren regelmäßig einseitige oder tendenziöse Berichterstattung erlebt – auch von öffentlich-rechtlichen Medien. Es ist daher verständlich, wenn Teilnehmer Zurückhaltung zeigen, wenn sie gefilmt oder zitiert werden sollen. Wer über Menschen berichtet, sollte mit ihnen sprechen – nicht über sie hinweg. Pressefreiheit bedeutet nicht, dass Medien über den Dingen stehen oder von Kritik ausgenommen sind. Sie bedeutet auch nicht, dass sich Menschen ungefragt fotografieren oder vereinnahmen lassen müssen – vor allem nicht bei einer Demonstration, bei der viele aus Angst vor beruflichen oder sozialen Konsequenzen anonym bleiben möchten.
Dass Teilnehmer zurückhaltend oder misstrauisch gegenüber manchen Berichterstattern sind, ist keine Aggression, sondern oft die Folge jahrelanger Erfahrungen mit einseitiger oder stigmatisierender Darstellung. Der beste Weg, dem zu begegnen, ist nicht moralische Empörung – sondern journalistische Offenheit und Gesprächsbereitschaft vor Ort.
Unsere Bitte an alle Medienschaffenden – ob öffentlich-rechtlich, privat oder unabhängig: Kommen Sie ins Gespräch, stellen Sie Fragen, recherchieren Sie vor Ort. Und berichten Sie mit derselben kritischen Energie auch über die Gegendemonstrationen, ihre Parolen und ihren Umgang mit friedlichen Teilnehmern und Polizei. Das wäre fair – und Ausdruck echter Presseverantwortung.
4. Medienberichte sind nicht das Original
In Ihrer Berichterstattung kritisieren Sie mehrfach, dass ich betont habe, wie wichtig est ist, eigene Bilder zu erzeugen. Aber genau das ist doch legitim – und notwendig. Jede Bewegung, die medial verzerrt oder ignoriert wird, hat das Recht, ihre Sichtweise selbst zu dokumentieren. Das tun Umweltaktivisten, das tun Gewerkschaften, das tun auch politische Parteien. Warum sollte es also ausgerechnet hier verdächtig sein?
Ob über Flugblätter, Flyer, Interviews oder Videos: Wir werden auch weiterhin unsere Perspektive zeigen. Denn viele Menschen haben längst verstanden, dass sie ihre Meinung nicht aus der Zeitung übernehmen müssen.
5. Reutlingen war friedlich – trotz Blockaden
Trotz erheblicher Behinderungen durch unangemeldete Blockaden verlief die Demonstration friedlich. Die Teilnehmer blieben deeskalierend, freundlich und lösungsorientiert – das war auch das Ergebnis sorgfältiger Vorbereitung. Dass die Route geändert werden musste, ist ärgerlich – aber keine Schwäche. Es ist vielmehr ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein, wenn eine Versammlung flexibel reagiert, ohne sich provozieren zu lassen.
Während das Organisationsteam in enger Abstimmung mit den Behörden die Demonstration friedlich vorbereitet hat, wurde die Durchführung durch gezielte Blockaden gestört – auch das erwähnt der Artikel. Dass Gegendemonstranten mit Pfefferspray und Schlagstöcken durch die Polizei gestoppt werden mussten, wird zwar berichtet, aber nicht eingeordnet.
Wer sich dem Gewaltverzicht entzieht, stellt sich nicht auf die Seite der Demokratie.
6. Die Stärke der Bewegung liegt in der Vielfalt
Auf den Demonstrationen von QUERDENKEN-711 sprechen Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Darunter Künstler, Ärzte, ehemalige Regierungsbeamte, Kleinunternehmer, Lehrer, Mütter, Väter, Großeltern – Menschen, die sich Sorgen machen um die Zukunft dieses Landes. Dass auch Mitglieder der AfD in Reutlingen oder auf Demonstrationen von QUERDENKEN-711 anwesend waren, ist möglich. Es ist auch möglich, dass Mitglieder der Linken, Grünen, CDU, SPD und FDP anwesend waren. Wir prüfen keine Parteizugehörigkeit. Die Demonstration war parteilos. Jeder Redner, jede Gruppe, die sich zu Wort meldet, spricht für sich – nicht für den Veranstalter.
Die Demonstration am 26.04. war ein Ausdruck gelebter Demokratie. Sie alle haben sich für Frieden, , Freiheit, Eigenverantwortung, freie Meinungsäußerung und Grundrechte eingesetzt – friedlich und entschlossen.
Wer dieses Engagement in eine „rechte Ecke“ drängen will, tut nicht nur den Organisatioren und den Teilnehmern Unrecht – sondern beschädigt das demokratische Fundament, auf dem wir alle stehen.
Ein Wort des Dankes
Zum Schluss möchte ich betonen, dass ich es grundsätzlich schätze, wenn Medien – auch mit kritischem Blick – regelmäßig über unseren Demonstrationen für Grundrechte, Freiheit und Frieden und insbesondere über meinen laufenden Gerichtsprozess berichten. Die Redaktion der KONTEXT:Wochenzeitung ist seit vielen Monaten als Prozessbeobachterin regelmäßig vor Ort. Auch wenn die Berichterstattung erwartungsgemäß nicht ohne das übliche Framing auskommt – den Begriff „Friedens-Schwurbler“ halte ich aus. Dass überhaupt berichtet wird, ist wichtiger denn je in einer Zeit, in der vieles im Schatten stattfindet. Dafür meinen aufrichtigen Dank.
Michael Ballweg
Gründer QUERDENKEN-711 Stuttgart
und der QUERDENKEN-Bewegung,
Preisträger Corona-Unternehmer des Jahres 2020 (ZDF)
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